Die Dämmerstunde brach herein und Ilja betrat die auserkorene Vergnügungsstätte. Trunken vom Wein nahm er seinen Aufenthaltsort in Augenschein. Die Musik schrie so laut, dass das gewöhnliche Surren, welches sich einstellt, sobald eine Menschenmenge sich versammelt, vollkommen übertönt war vom Groove der Bässe; ihnen nacheifernd flimmerte das Licht im Takt der Akkorde und sogar das Herz begann, sich dem Rhythmus anzupassen.
Wie erwartet, fühlte sich Ilja höchst abkömmlich bei dieser Lustbarkeit des Lebens. Wie durch einen Schleier sah er sich das überschäumende Treiben an. Alle schienen zu frohlocken; allein Ilja sah sich von Menschen umgeben, die - auf der Suche nach einem schlichten Entzücken - falsch abgebogen waren. Bezecht und wankend auf diesem lauten Fest, trachteten sie nach Wohlbehagen und Gebrauch für sich selbst und ihre Sehnsüchte.
Von Zeit zur Zeit gingen die Geschöpfe aufeinander zu, wie zwei Funken in Erwartung eines Feuerwerkes. Ilja sah sich das Possenspiel an und wusste um die Enttäuschung des nächsten Morgens, wenn - nachdem man sich über Nacht im eigenen Begehren gewärmt - das eigene Glück in den Schoß des Anderen legte, um die Verantwortung für das Unausweichliche nicht selbst tragen zu müssen. Dies Zusammenspiel kannte Ilja zur Genüge - im Grunde seines Herzens weiß ein jeder Mensch, wie wenig er dabei findet und wie viel verliert. Die stupide Narretei der Hoffnung treibt jedoch dazu an, es stets auf`s neue zu versuchen - von der Idee besessen, nur dieses eine Mal möge das wankelmütige Glück haften bleiben.
Ilja verstand die Welt nicht mehr; er hat aufgehört, sie zu verstehen, als in ihm das Gefühl aufkam, die Liebe sei etwas Schlechtes. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt lebte er im Zukunftsglauben des Guten und das Gute war die Liebe. Schleichend berückte Ilja die Angst, bis er feststellte, mit der Liebe etwas Frevelhaftes zu verbinden. Von da an fühlte sich Ilja nicht länger mit seiner Umwelt verbunden - denn das und nichts anderes meinen wir, wenn wir sagen, wir verstünden unsere Weltgebäude oder täten es nicht.
Wieso war Ilja hier? Verstohlen auf wundersame Genesung hoffend, bekam er unerwartet den Spiegel vorgehalten - die Seele verlang nach Wärme und Liebe und, im Gegensatz zum Menschen, lässt sie sich nicht lumpen; das Herzstück kennt sein Recht. Gerichtet auf den Einen kann sie sein - nicht anders, nur sein. Und das, wonach die Seele so sehr strebte, das konnte ihr die Vergnügungsstätte nicht geben - nicht, dass an der Lokalität etwas falsch wäre, sondern weil die Seele nach Versöhnung mit ihrem Schöpfer und durch ihn auch mit der Welt verlangt.
Ilja war betrunken und müde: Er ergab sich - es nicht an den anderen Menschen gelegen, die verloren gegangene Verbindung zu heilen. Wenn andere Menschen uns wehtun, dürfen wir uns verschmäht fühlen. Aber zu erwarten, dass andere diese Wunden gesunden, ist falsch. Das dürfen und können sie nicht - das heilige, heilende Gespräch, dessen es zur Gesundung bedarf, kann ein jeder Mensch nur mit dem Einen führen, weil Er der Einzige ist, der die Antworten kennt. Und die Seele ist die Einzige, die sie hören kann. Sie ruft die Engel zusammen, die über ihr die Fittiche ausbreiten, damit Sein Licht wie reinigender Regen den Schmerz flutet.
In diesem Licht wusste Ilja, das Dasein ist ein immerwährender Kreislauf - der Ausgang steht von Anbeginn an fest und das Spiel läuft. Seine Zeit ist die Ewigkeit - es ist also alleine an uns, wie lange wir brauchen, um heimzukehren; und sind wir einmal heimgekehrt, so hüllt sich der Weltenbau in das Dunkel der Nacht, um am nächsten Morgen aufzuerstehen - ohne einen Anfang und ohne ein Ende ...
Freitag, 29. Oktober 2021
Die Stunde schlug
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen