Die Sonne ließ sich in Troms
seit Tagen nicht mehr blicken. Vor dem Fenster des kleinen Häuschens erstreckte
sich der tiefste Winter. Auch alle benachbarten Häuschen lagen unter der
weichen, weißen Schneedecke. Der dichte und geheimnisvolle Wald, der sich um
Prestvannet herum erstreckte, schwand hier und da, um der winzigen Siedlung seine
beschauliche Lichtung anzubieten. Die Lichtung war nur eine Insel inmitten der
Birken, die ihr grünes Gewand unlängst gegen die winterlichen Brautkleider eingetauscht
haben.
Der See war stellenweise
zugefroren; dort, wo die Sümpfe gnädig blieben, erstreckten sich Birken, die
ihren Lebensraum großzügig mit Eichen, Kastanien und Eschen teilten. Alles trug
weiß – die Böden, die letzten tapferen Blättchen, die es dann und wann
geschafft haben, sich am Gestrüpp zu halten; die Stämme und die Äste, die sich
zu weiß gekrönten Kronen vereinten.
Inmitten dieses Wintermärchens
stand das Haus der Nilssons am Rande einer Landstraße. Auf der anderen Seite
der Straße nahm der Wald sein Gebiet wieder in Besitz; erst zögerlich, mit
wenigen kleinen Birken und Gestrüpp; dann mutiger, mit kräftigen und dicht
bewachsenen Bäumen und schließlich entschlossen und undurchdringlich, bis er
kurz vor dem Ufer des Prestvannet dem moorigen Sumpf weichen musste.
Die Laternenmaste entlang der
Landstraße glichen einer durch silberne Fäden miteinander verknüpften
Königsgarde, die inmitten royaler Dunkelheit eine Lichtparade abhielten.
Das Haus war weiß und mehrstöckig.
Den zweiten Stock und das Dachgeschoss verzierten jeweils ein größerer und ein
kleinerer hölzerner Austritt mit schlichten Querbalken. Das ganze Haus bestand
aus diesen schlichten Sprossen und war umgeben vom kleinen, verwilderten
Gärtchen zur seiner Rechten und einer Wiese zur seiner Linken. So stand es,
stolz und majestätisch auf einem kleinen Hügel, der es über alle anderen Häuser
in der Gegend gerade so viel erhöhte, dass acht Stufen und eine leichte
Steigung des Pflasterweges vonnöten waren, um das von einer altmodischen und
einsamen Gaslaterne beleuchtete Domizil zu erreichen.
Allein die Uhr im Wohnzimmer
der Nilssons bestimmte den Tagesablauf von Elmar und Gunda. Da die Geschwister
mit ihren sieben und acht Jahren noch viel zu jung waren, um darauf zu achten,
oblag es der Güte der Großmutter Freja, der immerwährenden Nacht des
norwegischen Winters den Schleier des von unserer Lebensart geforderten
Rhythmus aufzuerlegen.
In der Zeit der
Weihnachtsferien war keine Strenge gefragt; märchenhafte Romantik lag in der
Luft und knisterte im Kaminfeuer. Der Samstag neigte sich dem Ende zu und
bescherte dem aus der Zeit gerissenen Zuschauer in der knisternden Kälte der
vom Raureif belegten Flora das wundersame Schauspiel des geheimnisvollen
nächtlichen Leuchtens der nordischen Luft.
Elmar und Gunda saßen im
weichen Licht des Kaminfeuers. Das Wenige, das sie für das Blättern ihres
Kinderbuches brauchten, spendete ihnen die kleine Funzel über der großen Chaiselongue,
in der sie beide Platz fanden. Das Knistern des Feuers im Kamin vertonte sein
magisches Schattenspiel an den Sprießeln der hölzernen Decke. Es erzählte sein
eigenes Märchen des Werdens und Vergehens; zu lang und zu verzagt für kindliche
Gemüter und daher nicht vernommen.
Die Uhr schlug sieben; der
kleine Kuckuck schrie die Zeit in die Welt hinaus und zog sich zurück. Der Wind
nahm die Arbeit auf, fegte den Raufrost von den Ästen und wirbelte allen Schnee
auf, der nicht unter einer kleinen Kristallkruste seine vorerst letzte Ruhe
fand.
Noch bevor der Kuckuck den
Fortgang der Ewigkeit zur vollen Stunde ein weiteres Mal hinausschreien konnte,
erwuchs aus dem kleinen Schneewirbel im Garten ein wahrhafter Wirbelsturm. Er
schüttelte die Bäume und durchbrach die dünne Kruste des am Boden liegenden
Schnees; nahm ihn mit und verwandelte die Dunkelheit in einen weißen Nebel, der
hier und da durch die weißen Flecken der Straßenbeleuchtung aufgehellt wurde. Auch
die Geräuschkulisse veränderte sich und gesellte dem friedlichen Summen des
Kaminfeuers das wilde und unbeherrschte Heulen des heimatlosen Windes. Er
erzählte andere Geschichte, von Sehnsucht und Verlust und er tat es laut und
unbeherrscht.
Ängstlich schmiegten sich
Elmar und Gunda aneinander und flehten um Geborgenheit vor der düsteren Sage
des Sturmes. Großmutter Freja zog die dünnen Gardinen zu und forderte die
Glühlampe auf, die Geister des Sturmes zu vertreiben. Das ging für einige
Minuten gut; dann holte der Sturm auf. Er kämpfte mit aller Kraft gegen die
Fensterscheiben, an die er mit Schneekristallen und Strauchästchen anklopfte
und gegen das Licht, das er immer mehr im weißen Nebel des Schnees zu ertränken
suchte. Plötzlich hörte man ein entsetzliches Knacken; eine der
Straßenleuchten, vom Sturm verbogen, gab nach und zerbrach, wie ein
Streichholz. Die silbernen Fäden der Kabel zischten und zerbrachen wie gläserne
Stäbchen. Graue Finsternis zerrann über Soltungvegen und allein das
schüchterne, aber beständige Kaminfeuer erzählte seine leise Geschichte und
beschenkte hingebungsvoll mit Licht und Wärme.
Gunda und Elmar waren voller Furcht;
es war Sonnabend und mit einem Rettungsdienst für die Stromleitungen war vor
Montag nicht zu rechnen, zumal sich das Telefon zusammen mit dem Licht aus der
Reichweite des Gewohnten entfernte.
Der Sturm wütete in der
Dunkelheit und sang in aller Stärke das Lied der Zerstörung. Freja eilte in den
Vorraum und brachte so viel Brennholz mit, wie sie tragen konnte, um das
Chaminée zu ermutigen, sein Schattenspiel wieder aufzunehmen. Von dem
Augenblick an, als die Dunkelheit die Straßen eroberte, vertonte der tobende
Schneesturm das Spiel an der Holzdecke.
Gunda weinte und wollte sich
nicht trösten lassen; Elmar blickte hilfesuchend zu Freja hoch. Was sollte sie
machen? Das Abendessen ward fertig; ein Essen bei Kerzenschein schien ein guter
Anfang, um die Kinder mit der Nacht zu versöhnen. ...
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