Freitag, 19. Juni 2015

Monddialog #3



… kühl ergießt sich die Nacht und gibt den Mondsichel frei. Es ist die Zeit des Erwachens. Der zunehmende Schatten birgt meine Schwermut: die Jahrmillionen haben mich müde gemacht. 
Des Menschen Empfindungen haben mich erschöpft, wenn ich sie auch nie selbst gefühlt habe. Die höchste Entzückung, die tiefste Niedergeschlagenheit, gar die selbstloseste Liebe ist so vergänglich wie der Mensch selbst; und trotzdem messen sie dieser ihrer Sentimentalität so viel Bedeutung bei; können ohne sie nicht sein.
Epochen sind vergangen, Staaten entstanden und untergegangen, Religionen wurden geboren und verworfen – aber der Mensch glaubt, das von ihm Empfundene sei für die Welt, für mich, so neu und aufregend wie in seiner eigenen Brust. Manche kommen dahinter. Sie werden mit den Jahren ihrer eigenen seelischen Sinnlichkeit genauso müde, wie ich es ihrer bin. Dann ist es für sie an der Zeit zu gehen – das Leben duldet nur diejenigen, die daran hängen.
Mein müder Blick überfliegt das in Dunkel getunkte Tal; die Bäume flüstern ihre Geschichten, das Gras wispert himmelwärts, als ich spüre, wie jemand seine stille Verzweiflung direkt in mein Inneres fließen lässt.
„Warum sind wir da? Ist das Leben eine Aneinanderreihung von Möglichkeiten, die unausweichlich im Tode endet?“
„Nein, siehe doch – der Mond ist älter als die Menschheit. Er hat ihre Geburtsstunde erlebt; er weiß um den Sinn des Lebens. Würde er denn scheinen, wenn es keinen gäbe?“
Ich kann nicht anders und teile im Gegenzug meine Wehmut mit. Die Ewigkeit hat begonnen, als alles, was ist, erwacht und geworden ist. Man sollte sie besser Endlosigkeit nennen, denn sie hat einmal begonnen und endet nie. Welchen Sinn soll die Unendlichkeit schon haben, als den, der ihr zu jeder Stunde gegeben wird? Allein die Suche ist immerwährend, nicht ihre Ergebnisse.    
So speisen wir einander – ich kann mich von der Hitze des Wunsches eines kurzlebigen Wesens und seiner Notwendigkeit für das Jetzt beleben lassen, auf dass mir die Weisheit in der Ewigkeit nicht bitter schmecken möge. Ich scheine hernieder und zeige im Schattenspiel ihrer Seelen, dass Friede die höchste Wonne ist, nicht die Hoffnung.
Ob sie verstehen? Die Stunde schlägt Romantik; ergriffene Herzen hören nur ihren eigenen Klang. ...

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